Über den Wolken

Schon vor einiger Zeit war ich für ein paar Tage zu Besuch in einem Bergdorf, auf 5000 m Höhe. Ein absoluter Kontrast zu dem Stadtleben hier in Cusco – wo es zwar auch erstaunlich ruhig, doch auch rummelig sein kann. Autohupen, Abgase, Musik, rufende Verkäuferinnen, Touristen, Stadtlichter… all das gab es in dem Dorf nicht. Dafür Alpacas, Ruhe, Wolken, offene Flächen, Bachgeplätscher, Naturdüfte. Hmmm. Ich – da ich vom Lande komme – liebe das. Aaaaber, es kann auch hart sein dort oben in den Bergen, ab vom Schuss… Ich erzähle euch, wie wir dorthin kamen und was wir gemacht haben:

Relativ spontan fragten mich im letzten Jahr zwei befreundete australische Brüder, ob ich Lust hätte, mit ihnen in dieses Dorf zu kommen. Einer der Beiden kennt wiederum zwei Brüder aus dem Dorf und so konnten wir sie dort besuchen. Um 5 Uhr eines Morgens fuhren wir los, etwa 6 Stunden erst mit dem Auto. Bereits auf dem Berg angekommen gings weiter zu Pferd für 2 Stunden. Das heiβt wir Schwächlinge nutzten den Rücken der Pferde, die Dorfbewohner, die mit uns unterwegs waren, liefen zu Fuβ. Komisches Gefühl für mich – wie Reiter und Fuβvolk. Der Grund ist aber einfach der gewesen, dass wir Besucher nicht hätten gehen können. Auf 5000 m Höhe lässt es sich für „Ungewohnte“ nicht leicht spazieren. Die Luft ist zu dünn. Also war ich heilfroh über mein Pferd, was mich ohne Führung durch Nebel und Regen und diese magische Landschaft in sein Dorf brachte. Nix hier mit Trense und so. Die wussten, was sie taten.

Das Dorf – einige Steinhäuser und Viehställe – erreichten wir kurz vor Sonnenuntergang im Regen. Ziemlich unglaublich für mich, wie die Menschen dort leben. Eine Familie hat ein kleines Haus mit einem Raum, in dem geschlafen, gekocht, gegessen wird. Das Haus ist nicht so sehr Wohnraum, Aufenthaltsraum wie bei uns, so scheint es mir. Am Tag spielt sich das Leben drauβen ab: auf dem Feld, beim Tiere hüten, pflanzen oder waschen. Als Bett dient der Boden, auf dem in einer Ecke etwas Heu aufgehäuft ist und einige Decken. In den Wänden sind wenige Löcher als Fenster. Also warm ist es nicht unbedingt. In dieser Höhe sowieso nicht, insbesondere bei Nacht. Doch das ist eben mein Empfinden. Wer dort geboren wird und lebt, für den ist das nicht so. Es ist normal. Kälte-, Wärme-, Komfortempfinden – das kommt aus einem Vergleich. Stellt man ihn nicht her, ist es einfach, wie es ist. Ich stellte ihn her. Während ich zum Beispiel tagsüber dort in meiner Thermokleidung, Wanderschuhen, Wolljacken (ich glaub obenrum trug ich 5 Schichten) und Regenkleidung unterwegs war, trugen die Frauen dort Wollstrumpfhose, Rock (ok teils in Lagen), Pulli, Strickjacke und – aufgepasst – Sandalen. Brr. Und auch irgendwie bewundernswert. Und ich bin ein Weichei und Luxuskind. Apropos: klar gibt es kein warmes Wasser, keine Dusche und es gab auch keine Toiletten. Und auch keine Bäume oder Sträucher zum Hinterpinkeln. Also Pinkeln in die Prärie quasi, einfach irgendwohin. Das war merkwürdig. Und meine Theorie seitdem ist, dass aus diesem Grund die Frauen in den Anden die weiten, reifigen Röcke tragen. Da weht einem der Wind nicht um den Po beim Pinkeln und er schützt vor Blicken. Könnte doch sein…

 

Kartoffeln pflanzen

Dort oben, weit weg von anderen Orten, lebt man noch mehr im Einklang mit der Natur. Man ist mitten drin: nah am Boden und im Himmel (die Sterne waren zum Greifen nah, die Wolken konnte man beinahe schmecken). Es ist den Menschen noch viel bewusster, wie wir von der Erde, dem Wasser, der Sonne, der Luft abhängen und dass wir ein Teil davon sind. Ein Lebewesen auf dieser Erde, welches leben möchte und ein Wesen hat. Daher ehren die Menschen Mutter Erde (in quechua: pachamama) und den Berg (appo), der das Männliche repräsentiert, mit schamanischen Zeremonien. Sehr fein werden dafür in bestimmer Ordnung Gegenstände, Opfergaben (Pflanzensamen, Blütenblätter u.ä.) auf einem Tuch (despacho) ausgebreitet, sowas wie gesegnet, Dinge gesprochen, gesungen. Die Teilnehmenden verteilen Kokablätter an andere Teilnehmende, in denen sie Wünsche einhauchen. Es geht darum, Intentionen an die Erde und den Berg abzugeben, es geht um Reinigung, Verbindung, Einssein. Ein Schamane spricht, während er das eingewickelte Tuch mit den Opfergaben an verschiedene Stellen des Körpers der einzelnen Menschen hält, zu Mutter Erde und Vater Berg, bittet, ruft. Alles in Quechua. Begleitet werden die Zeremonien teilweise durch Gesang, Flötenspiel, Trommeln. Einen Tag machten wir solch eine Zeremonie auf einem wichtigen Berg. Es kann viel passieren dabei, wenn man die Verbindung wirklich aufnimmt.

Ebenso wie viel passieren kann, wenn man die Verbindung zu Menschen aufnimmt, zu einem Ort, zu einer Sprache, zu einem Land, zu sich selbst… Eine tolle Erfahrung für mich die Zeit in dem Dorf. Eine Erfahrung, die mir gezeigt hat, was ich brauche und habe. Dadurch, den Vergleich zu haben und ohne ihn weiterhin zu brauchen.

 

     Der Schamane mit dem despacho

 

So kann Verbindung sein

 

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